Der existenzialtherapeutische Ansatz:

 

Im Folgenden wollen wir versuchen eine kurze Einführung in das zu geben, was unserer Auffassung nach elementare Fragen von Psychotherapie sind:

 

  • Wie ist die menschliche Psyche strukturiert?
  • Wie entstehen möglicherweise strukturelle Probleme?
  • Was ist die Aufgabe von Psychotherapie?
  • Welche "Rollen" spielen Klient und Therapeut im therapeutischen Prozess?
  • Was sind die allgemeinen Ziele von Therapie?

 

Was ist Existenzial-Psychotherapie?

 

Die Existenzialpsychologie ist konzipiert als integrative Sichtweise, die Aspekte verschiedener psychologischer Strömungen im Rahmen der sog. Humanistischen Psychologie vereint und um einige wesentliche Elemente erweitert.

 

Grundlegend für unseren psychologischen Therapieansatz ist ein differenziertes Konzept der menschlichen Persönlichkeitsstruktur, die eine gewisse Dynamik entwickelt, die wir den existenziellen Akt nennen.

 

Dieser Akt integriert die drei Ebenen: Körper, Seele und Geist zu einer Ganzheit, die wir auch als Bewusstseinsraum bezeichnen. Dieser entfaltet sich dynamisch zwischen den beiden Polen der Persönlichkeit: dem Ich und dem Selbst.

 

Das Selbst ist das eigentliche Wesen des Menschen, das, was als Potenzial in ihm angelegt ist (Talente, Begabungen, geistige Fähigkeiten usw.) und womit das Kind geboren wird.

 

D. h. jeder Mensch kommt als Selbst auf die Welt und hat das Bestreben, sich in diesem Leben als solches optimal zu entfalten. Diese Entwicklung geschieht vor allem als ein Bewusstwerdungsprozess, für den das Selbst ein besonderes psychisches "Erkenntnisorgan", das Ich (-bewusstsein) ausbildet, mit dessen Hilfe das Selbst sich wie in einem Spiegel selbst erkennen kann.

 

Neben der Funktion dieser Selbsterkenntnis dient das Ich als "Erkenntnisorgan" generell auch dem Erkennen der (Um-) Welt. Dieses Ich (-bewusstsein) wird in den ersten anderthalb Lebensjahren ausgebildet.

 

Der Kern der Person ist und bleibt aber das Selbst, welches sich als wahre Natur eines Menschen in seinem Leben zu entfalten und zu verwirklichen strebt.

 

Eine zentrale Aufgabe unserer menschlichen Existenz besteht also darin, der zu werden, der wir wirklich sind.

 

Die verbreitete Ideologie unserer Zeit jedoch lautet: „Sei der, der Du sein willst!“ Der Mensch bestimmt demnach mit seinem Willen (der zum Ich gehört), wer er ist; er macht sich selbst.

 

Damit macht er sich aber zu einem völlig anderen als dem, der eigentlich in ihm, in seinem Wahren Selbst, angelegt ist.

 

Das rührt daher, dass viele von uns kaum noch Kontakt zu ihrem Selbst haben, dass also keine Selbst-Erkenntnis im o.g. Sinne stattfindet. Häufig wissen wir nicht einmal, dass es überhaupt existiert. Stattdessen sind wir vollständig identifiziert mit unserem Ich.

 

Das Ich ist gewissermaßen die Schnittstelle zwischen dem Menschen und seiner Umwelt und sollte als solche im Dienste des Selbst stehen. Das Selbst-vergessene Ich hingegen macht sich (zum) selbst. Es spielt sich zum Kern auf, es wird zum Falschen Selbst. Ein solches Ich, das zum Falschen Selbst geworden ist, bezeichnen wir als Ego.

 

Diese Spaltung zwischen Ich und Selbst, in der der Kontakt zum Wahren Selbst gestört ist, und dieses daher durch ein Ego (Falsches Selbst) zu ersetzen versucht wird, ist unserer Auffassung nach der Kern praktisch jeder neurotischen Struktur.

 

Solche Ego-Strukturen zu erkennen, zu bearbeiten und schließlich aufzulösen bzw. in ein angemessenes funktionales Ich- Bewusstsein zu transformieren und gleichzeitig den Kontakt zum Wahren Selbst wiederherzustellen, ist eine zentrale Aufgabe des therapeutischen Prozesses.

 

Selbst- Erkenntnis, Ich- Werdung und Selbst- Entfaltung sind aber natürlich wesentliche Aufgaben, vor die jeder von uns, nicht nur der "Kranke", gestellt ist.

 

Und so verstehen wir Therapie denn auch nicht als ein sich abarbeiten an Symptomen, sondern als umfassenderen Prozess mit dem Ziel, den Klienten jener Ganzheit ein Stück näher zu bringen, die Voraussetzung für grundsätzlich jedes glückliche, freie, autonome, selbstverantwortliche und sinnerfüllte Leben (in liebevollem Einklang mit sich selbst, seinen Mitmenschen und seiner Umwelt) ist.

 

Selbstverständlich müssen Symptome erkannt und analysiert werden. Sich jedoch auf ihre Behandlung zu beschränken, kann unserer Überzeugung nach bestenfalls kurzfristig Linderung verschaffen. Um nachhaltig zu wirken, muss sich eine Therapie mit den Ursachen hinter den Symptomen auseinandersetzen, d.h. sie muss die Strukturen, die die Symptome bedingen, aufzeigen und erklären und diese Strukturen allmählich verändern. In dem Maße in dem dies gelingt, werden Probleme und Symptome allmählich zurückgehen sowie ihre Ursachen nicht länger bestehen.

 

Dass sich neurotische Ego-Strukturen auflösen zugunsten einer guten und gesunden Ich- Selbst- Struktur, bedeutet letztlich wiederum, dass der Klient mehr und mehr der wird, der er wirklich ist.

 

Da sich, wie bereits beschrieben, grundsätzlich jeder Mensch auf diesem Weg befindet, kann Therapie "nur“ dazu beitragen, hier Fortschritte zu machen, sich seiner selbst bewusster zu werden und in seiner ganz persönlichen Selbst- Entfaltung weiter zu kommen.

 

Dass die Bewusstwerdung des Selbst als ein offener Prozess eine Entwicklung ist, die prinzipiell nie ganz vollendet wird, versteht sich von selbst. Der Zustand in dem das Ziel vollkommen erreicht wäre, wird in fernöstlichen Philosophien als Erleuchtung bezeichnet. Aber auch dieser Zustand ist aus unserer Sicht nur ein punktueller und kein dauerhafter.

 

Ob dieser Punkt in unserem irdischen Leben je erreicht wird, bleibt fraglich, entscheidend ist aber, auf dem Weg zu sein und sich dessen auch bewusst zu sein, statt selbst- und sinnvergessen durch unser Leben zu irren. D.h. es kommt darauf an, in diesem Leben eine Richtung zu haben und eine Lebensaufgabe, die dieses Leben zu einer Sinngeschichte macht.

Aus dieser Perspektive ist der Weg zu uns selbst somit immer auch ein spiritueller Weg.

 

 

Das innere Kind und die narzisstische Struktur:

 

Die Theorie des inneren Kindes ist ein gängiges psychologisches Modell, das dazu dient, die komplexen und im Detail individuell sehr unterschiedlichen Entwicklungen, die zu bestimmten psychischen Strukturen führen, auf ihnen gemeinsame Muster zurückzuführen und auf allgemein verständliche Weise zu beschreiben. Dabei gibt es, wie bei jeder Theorie, in verschiedenen therapeutischen Strömungen unterschiedliche Lesarten.

 

Im Folgenden werden wir daher versuchen einen Eindruck davon zu vermitteln, wie die Vorstellung des inneren Kindes aus unserer Perspektive dazu genutzt werden kann, die Entstehung einer oben beschriebenen narzisstischen Spaltung zwischen Ich und Selbst zu erklären und darüber hinaus zu beschreiben, wie diese sich auswirkt und welche Ansätze sich bieten, mit ihr therapeutisch umzugehen.

 

Wenn ein Kind geboren wird, ist es ganz Selbst. Es verfügt noch nicht über die Selbst- erkennende Ich- Funktion. Diese entwickelt sich erst im Laufe der ersten 18 Lebensmonate. Für den Beginn seiner individuellen Bewusstwerdung bedarf das Kind daher unbedingt einer primären Bezugsperson, in aller Regel der Mutter, die diese Funktion "ersatzweise" übernimmt. Ihre Aufgabe ist es in den ersten Monaten das Selbst des Kindes in seinen Signalen, Bedürfnissen und Emotionen mit ihren eigenen erkennenden und liebenden Augen zu spiegeln. Auf dieser Basis kann das (sich) Selbst-erkennende Ich des Kindes heranreifen und die Hilfs-Ich-Funktion der Mutter allmählich erübrigen, wobei gleichzeitig die Mutter immer mehr als eigenständige, d. h. vom Kind getrennte Person erkannt werden kann.

 

Neben ihrer Bedeutung für die Bewusstwerdung des Kindes ist die Rolle der Mutter für die emotionale Entwicklung des Kindes mindestens ebenso entscheidend. Hier besteht ihre Aufgabe darin, das Kind, wie wir sagen, emotional zu nähren. Dies geschieht dadurch, dass sie die Grundbedürfnisse des Kindes nach Versorgung, Aufmerksamkeit, Bestätigung und Zuneigung befriedigt, vor allem aber dadurch, dass sie das Kind bedingungslos und vorbehaltlos, einfach um seiner selbst willen, liebt.

Auf diese Weise erfährt das Kind, dass es, so wie es ist, angenommen wird und daher gut und richtig ist. Es lernt somit sich selbst anzunehmen und sich ganz allgemein "in seiner Haut" gut zu fühlen. Eine gute Mutter- Kind- Beziehung ist folglich die Grundlage für die Entwicklung einer gesunden Identität mit der Fähigkeit sich selbst sowohl zu erkennen als auch zu lieben.

 

Etwa ab dem zweiten Lebensjahr kommt auch dem Vater dabei eine zunehmend wichtigere Rolle zu.

Er vermittelt dem Kind mit seiner starken männlichen, gleichwohl fürsorglichen Energie das grundlegende Gefühl von Schutz und Sicherheit. Und für die Selbstwahrnehmung und spätere Selbsterkenntnis des Kindes übernimmt der Vater eine maßgebliche existenzielle Funktion:

Der Vater gibt dem Kind die Richtung im Leben. Und es gibt nur eine Richtung: die zu sich selbst!

 

Damit begründen die Eltern in ihren antagonistisch-komplementären Rollen den lebenslangen Weg des Kindes, der es letztlich Halt und Sinn im Leben finden lässt - in sich selbst.

 

Aber nicht nur für unser Verhältnis zu uns selbst sind diese frühen Erfahrungen entscheidend, sie prägen auch maßgeblich unser Verhältnis zu anderen Menschen und zur Welt im Allgemeinen: inwieweit wir ihr offen, frei, selbstbestimmt und selbstbewusst gegenüberstehen und unser Leben aktiv und selbstverantwortlich gestalten.

 

Erfolgt die Spiegelung durch die Mutter (oder eine entsprechende Bezugsperson) nicht in angemessener Weise, so stellt dies für das Kind eine narzisstische Kränkung dar. Erfolgen solche Kränkungen dauerhaft oder in besonders tiefgreifender Weise, (denn natürlich besteht zwischen einer "optimalen" und einer praktisch gar nicht vorhandenen Spiegelung ein breites Spektrum,) so kann dies zu einer frühen narzisstischen Störung führen.

 

Hier geht es ausdrücklich nicht um Schuldzuweisung. Gründe, warum Eltern nicht fähig sind, ihr Kind hinreichend zu spiegeln, gibt es viele: Äußere Faktoren wie eine soziale und wirtschaftliche Situation etwa, die Erwerbstätigkeit mit hohem zeitlichem Aufwand unumgänglich macht, bis hin zu Notsituationen mit Vertreibung, Krieg o.ä., aber auch Faktoren, die in der Person selbst begründet liegen, wie langjährige oder chronische Krankheit; und schließlich liegt die häufigste Ursache in der eigenen psychischen Struktur der Bezugsperson. Wer selbst als Kind nicht richtig gespiegelt wurde und damit das hier Beschriebene erlebt und eine entsprechende Persönlichkeitsstruktur entwickelt hat, kann in der Regel seinem Kind auch nicht das geben, was sie/er selbst nie erfahren hat.

Mit anderen Worten: da, wo Mutter oder Vater selbst noch verletzte Kinder sind, können sie ihrerseits nur sehr begrenzt Mutter oder Vater sein.

Eltern, die sich selbst nicht lieben, die emotional instabil sind, deren Verhältnis sowohl zu sich selbst als auch zu anderen mithin nicht gut entwickelt ist, können ein Kind nicht "optimal" spiegeln und ihm gleichzeitig auch nicht uneingeschränkt vermitteln, dass es gut ist, wie es ist, dass es bedingungslos geliebt wird.

 

Dies erzeugt im Kind schmerzhafte Gefühle des nicht- erkannt- Werdens und ungeliebt- Seins, die schließlich zu einer existenziellen Frustration führen können, da sie sein "Existenzrecht" buchstäblich in Frage stellen.

 

Für das Kind sind die Spiegel- Reaktionen der Eltern die einzige Realität: „wenn ich nicht ausreichend Liebe erfahre, bin ich nicht liebenswert; wenn ich, so wie ich bin, nicht vollständig angenommen werde, dann muss mit mir etwas nicht stimmen, dann bin ich falsch! Ich dürfte eigentlich nicht sein, wie ich bin“ und in letzter Konsequenz „ich dürfte gar nicht sein.“

 

Das Kind kann nicht anders, als sich hierfür selbst die Schuld zu geben. Gleichzeitig schämt es sich abgrundtief dafür, so zu sein wie es ist: offenbar unwert geliebt zu werden.

 

Dies alles geschieht selbstverständlich noch vollkommen unbewusst, jedoch spürt das Kind die immense Flut an negativen Gefühlen und eine tiefe innere Verletzung seiner Herzgefühle, die wir als Trauma verstehen.

 

Um diese unerträglichen Frustrationsgefühle des Selbst nicht mehr fühlen zu müssen, werden sie vom gerade erst entstehenden Ich-Bewusstsein abgespalten und, bildlich gesprochen, "vergraben". Hier entsteht die Basis für das depressive Gefühl der Gefühllosigkeit: „es ist besser gar nichts zu fühlen, als mich immer nur schlecht zu fühlen.“

 

Das Ich schottet sich ab gegenüber dem Selbst mit all seinen furchtbaren Emotionen.

 

Der Zugang zum Selbst mit seinen abgespaltenen negativen Gefühlen wird dabei durch ein Abwehrbollwerk aus Angst und Wut blockiert. Alles, was später auch nur ansatzweise an diese "Selbst- Scham-Wunde" rührt, wird mit heftigen Angst- und Wutreaktionen beantwortet, um klarzumachen: „dies ist vermintes Gebiet“, „Zutritt verboten!“

 

Angst, Wut und Scham sind im Wesentlichen die einzig verbleibenden intensiven Gefühle, wenngleich auch sie natürlich bestmöglich gemieden werden. Ansonsten ist ein Mensch mit narzisstischer Frühstörung weitgehend echter Gefühle beraubt, vor allem der Fähigkeit, sein Herz für die Liebe zu öffnen.

 

Damit ist die narzisstische Spaltung zwischen Ich und Selbst weitgehend vollzogen. Die Dynamik zwischen den beiden Polen ist blockiert, das emotionale Spektrum extrem eingeschränkt.

 

Am Anfang der narzisstischen Spaltung steht eine negative Selbstwahrnehmung als unbewusste Spiegelung der tief abgespaltenen Frustrationsgefühle des Wahren Selbst, zu dem inzwischen nur noch wenig Kontakt besteht (hauptsächlich über den Körper).

 

Diese Wahrnehmung besagt: „Ich bin nicht liebenswert. Niemand sieht mich. Niemand versteht mich. Niemand mag mich. Niemand will mich haben. Ich gehöre nirgendwo wirklich dazu, und es gibt keinen richtigen Platz für mich. Es wäre besser, wenn es mich gar nicht gäbe..."

 

So oder so ähnlich drücken sich die tiefen Selbstzweifel und die quälenden Empfindungen von Minderwertigkeit und Unzulänglichkeit aus.

 

Ein scheinbarer Ausweg aus dieser Situation besteht für das Kind, das inzwischen etwa 3 -5 Jahre alt ist, im zunehmenden Rückzug in seine innere Phantasiewelt.

 

Kinder in diesem Alter befinden sich in der sog. magischen Phase: Die Grenzen zwischen Traum, Phantasie und Realität sind fließend. Die Welt ist überwältigend groß, unerklärlich, geheimnisvoll und voller Abenteuer. Erwachsene, vor allem die Eltern, erscheinen gottgleich, allwissend und allmächtig und auch sich selbst nimmt das Kind hier in seiner Phantasie gerne als besonders, übermächtig, unverwundbar, unbesiegbar etc. wahr.

 

Wird ein Kind in seinen Bedürfnissen nicht hinreichend befriedigt, zieht es sich zurück in diese Phantasiewelt, die es beherrscht und in der es stark und unverwundbar ist, um sich selbst zu schützen. Dies ist ein normaler Vorgang, der bei einer leichten Kränkung nur vorübergehend ist. Tiefe oder sich ständig wiederholende Kränkungen jedoch führen dazu, dass das Kind sich immer weiter und beständig aus der unangenehmen Realität zurückzieht in eine sog. Überlegene Isolation.

 

Dieses magische Bewusstsein wird schließlich zur dauerhaft konservierten Struktur als Ausgangspunkt für die spätere vermeintliche innere Überlegenheit der heranreifenden Person: „Ich brauche Eure Anerkennung und Liebe nicht! Ich brauche Euch nicht! Ich bin eh viel besser als Ihr. Ich brauche niemanden! Ich bin mein eigenes Ideal."

 

An diesem Punkt installiert sich das (vom Wahren Selbst getrennte) Ich als eine Art "Ersatz-Selbst". Das Wahre Selbst existiert aber weiterhin, wenn auch "im Verborgenen". Somit spielt sich das Ich also auf zu einem Falschen Selbst. Ein solches nennen wir Ego.

 

Im Rahmen des Modells vom inneren Kind können wir sagen: Die Entwicklung des erst rudimentär ausgebildeten kindlichen Ich kommt hier gewissermaßen zum Stillstand, sie wird angesichts des Traumas eingefroren und manifestiert sich im Ego, das in vielerlei Hinsicht kindliche Eigenschaften behält:

 

Es bleibt von anderen (zunächst den Eltern, später "Ersatz"- Bezugspersonen, wie Partner, eigene Kinder etc.) abhängig, bleibt meist in der Forderungshaltung, weigert sich selbst Verantwortung zu übernehmen, vor allem aber entwickelt es eine unstillbare Sehnsucht, eigentlich nach seinem Wahren Selbst; da dieses aber abgespalten ist, richtet sich die Sehnsucht nach außen, zunächst auf die Eltern, später auf Partner, Kinder, materielle Güter, Erfolg, Anerkennung usw.

 

Das Ego wird aufgeblasen zu einem grandiosen Idealbild von sich selbst, mit dem man sich identifizieren kann um dadurch unabhängig zu werden von der Bewertung durch andere.

 

Diese zunehmend realitätsferne Idealisierung der eigenen Person bringt aber nur scheinbar Autonomie, denn die tiefe Angst davor, als unecht und "reine Fassade" durchschaut zu werden, manifestiert sich zugleich in der ständigen bangen Grundfrage: „wie muss ich sein und was muss ich tun, um endlich doch geliebt zu werden?"

 

Die gängigen Antworten auf diese Frage lauten: „Ich muss etwas Besonderes sein. Ich muss besser sein als andere, schöner, stärker, klüger, attraktiver, intelligenter usw.“ Ein Klient formulierte sein Lebensmotto in dieser Phase so: „Lieber tot als Zweiter!“

Dahinter verbirgt sich die Hoffnung, sich Liebe oder wenigstens Anerkennung verdienen zu können: Wenn ich nur richtig "performe", werde ich akzeptiert, anerkannt, vielleicht sogar bewundert oder gar beneidet.

 

Wer als Falsches Selbst (also als Ego) lebt, muss sich unangreifbar machen, darf sich keine Fehler und Schwächen erlauben, muss sich absolut unter Kontrolle haben, muss sich genau so verhalten, wie man es von ihm erwarten würde (wenn er echt wäre).

Und früher oder später kommt er zu der rigiden Überzeugung: wahre Unabhängigkeit liegt nur in persönlicher Macht - meistens auf der Basis von besonderer Leistung und Erfolg (der aber selten von Dauer ist), aber auch in der vermeintlichen inneren Freiheit von "sentimentaler Gefühlsduselei".

 

Eine andere Variante sucht ihr Heil in der totalen Anpassung und in der Selbstausbeutung, stets sehnlichst darauf bedacht, gemocht zu werden und wenigstens ein bisschen Anerkennung zu finden.

 

Dabei geht der Kontakt zum Wahren Selbst immer noch tiefer verloren, das Herz ist zunehmend blockiert, die Einsamkeit und innere Leere wird immer drückender, bis irgendwann der Punkt erreicht ist, wo es nicht mehr weiter geht.

Oft genügt dann ein kleiner Misserfolg, eine Ablehnung, ein Hauch von Kritik, um das Ego als Falsches Selbst abstürzen zu lassen in gnadenlose Selbstzweifel und Selbstabwertung, in jähe Scham- und Schuldgefühle, im Extremfall bis in die tiefe Depression.

 

Auf den Absturz folgt die allmähliche "Problemlösung" nach "bewährtem" Muster: Das unerträgliche negative Selbstgefühl wird erneut verdrängt, das Ego wiederaufgebaut durch erneute Selbstüberhöhung und Abwertung anderer. Das "Spiel" beginnt von vorn.

In diesem ständigen Wechsel zwischen Selbstidealisierung und Selbstabwertung, zwischen Grandiosität und Minderwertigkeit, entsteht ein jeweiliges persönliches Muster - wir nennen das den persönlichen narzisstischen "Paternoster" - als individuelle dynamische Charakterstruktur. Diese unterscheidet sich individuell danach, ob Grandiosität oder Minderwertigkeit vorherrschen, wie extrem die Ausprägung der Seiten ausfällt, wie häufig sie wechseln usw.

 

Der narzisstische Spaltungsmechanismus wird auch wirksam in der generellen Einteilung von Gut und Böse in der Wahrnehmung und Bewertung Anderer: zu den Guten gehört, wer die eigene Grandiosität stützt und fördert durch Anerkennung und Bewunderung oder sie zumindest nicht entlarvt; zu den Bösen gehört, wer die Grandiosität bedroht oder angreift durch Kritik, Ablehnung oder gar Entlarvung oder Bloßstellung, was unweigerlich einen weiteren Absturz mit peinlichsten Schamgefühlen zur Folge hätte.

 

So wie der narzisstisch gestörte Mensch sich selbst nicht in seiner Ganzheit wahrnehmen und erkennen kann, ist er auch unfähig, andere realistisch einschätzen und verstehen zu können. Er urteilt generell nur nach der Frage: „Ist der andere für mich oder gegen mich? Kann er mich aufbauen oder erschüttern?"

 

In partnerschaftlichen Beziehungen sucht er deshalb nach einem Pendant, das komplementär zu seiner Struktur passt wie der "Schlüssel aufs Schloss".

 

Konkret sucht typischerweise der narzisstische Mann sich eine narzisstische Frau, die sich mit seinem vermeintlich starken Selbstbewusstsein, seiner inneren Unabhängigkeit und seinem Nonkonformismus identifizieren kann (möglichst in einer symbiotischen Beziehung) und ihn dafür idealisiert und bewundert, was ihn stabilisiert und weiter aufbaut.

 

Im Idealfall dankt er es ihr mit dem Satz: „Du bist die perfekte Frau für mich - ich brauche dich" (in älteren Hollywoodfilmen häufig: „ich kann ohne dich nicht leben"), was sie dankbar als totale Anerkennung und vollkommene Liebe interpretiert und sich ihrerseits wieder mit dem Satz revangiert: "Nur wenn ich bei dir bin, kann ich ganz ich selbst sein - ohne dich bin ich nichts!", was ihn wiederum sehr von sich selbst und ihrer Liebe überzeugt usw. Natürlich funktioniert dies ebenso mit vertauschten Geschlechterrollen.

 

Das Modell des inneren Kindes bietet einen Ansatz, wie man mit einer solchen Struktur arbeiten kann. Auch narzisstisch gespaltene Menschen bleiben natürlich nicht einfach ein Kind. Auch sie entwickeln Fähigkeiten und Qualitäten, die ein erwachsener Mensch zum Leben braucht. Aber das innere Kind bleibt ein mehr oder weniger dominanter Teil ihrer Persönlichkeit. Das bedeutet: sie bleiben selbst als Erwachsene mehr oder weniger mit ihrem Kind- Muster identifiziert.

 

Um die kindlichen Ego-Strukturen zu überwinden, müssen zunächst die vorhandenen Aspekte eines Erwachsenen- Ichs gestärkt werden. Hierfür ist es hilfreich, sich bewusst zu machen, wo man mit seinem inneren Kind identifiziert ist, welche Gefühle, Sehnsüchte, Ambitionen usw. eigentlich zu ihm und nicht zu der heutigen erwachsenen Person gehören. Nicht „Ich habe Angst“, „Ich bin wütend“, „Ich schäme mich“ …, sondern „Mein inneres Kind hat Angst, ist wütend, schämt sich“ usw.

 

Dies löst allmählich die Identifikation mit dem inneren Kind. Gleichzeitig zeigt sich, dass, was für das Kind unaushaltbar war und ist, für die erwachsene Person zwar mitunter eine gewaltige Herausforderung darstellt, aber letztlich doch zu bewältigen ist.

 

Ein Kind kann nicht rationalisieren, nicht erklären bzw. verstehen, warum seine Bedürfnisse nicht erfüllt werden. Es ist den Gefühlen, die dies erzeugt, ausgeliefert und kann sich vor diesen nur verstecken, sich zurückziehen und sie abspalten als Überlebensstrategie. Die Situation, die ihm suggeriert „Ich bin falsch“ ist regelrecht existenzbedrohend. Mit seiner Strategie sichert das Kind sein Überleben.

 

Der erwachsene Mensch kann (rückblickend) verstehen, warum die Bezugsperson nicht in der Lage war, das Kind "optimal" zu spiegeln, und er kann erkennen und muss vor allem auch anerkennen, dass das Kind mit seiner Strategie sein Überleben gesichert hat und dass es dafür nicht verurteilt und gehasst werden darf, auch wenn es damit den Boden für die persönlichen Probleme bereitet hat, mit denen er heute kämpft.

 

Das damalige, reale Kind konnte und das innere Kind heute kann den Weg durch das Trauma nicht gehen. Daher muss die Identifikation mit dem Kind-Ich gelöst und das erwachsene Ich ertüchtigt werden. Dann kann dieses den Weg gehen und mit dem Wahren Selbst wieder in Kontakt kommen. Dabei muss das innere Kind "mitgenommen" werden. Es muss angenommen werden in seinem Leid und seinem Schmerz, bei seinem vergeblichen Versuch sich selbst zu heilen und zum Selbst zu kommen. Es ist nicht schuld daran, dass es nicht tun konnte, was das erwachsene Ich tun kann.

 

Auf dem Weg zum Selbst müssen die auftretenden Emotionen von Angst, Wut, Scham und Trauer gespürt, durchlebt und ausgedrückt werden. Indem diese aufgestauten Gefühle gelebt und die sie auslösenden Bedingungen erkannt, benannt und schließlich betrauert und somit verarbeitet und nachträglich integriert werden, wird das "eingesperrte" innere Kind "befreit" und gleichzeitig aufgelöst. Das durch das Trauma in seiner Entwicklung eingefrorene (Kind-) Ich kann gewissermaßen nachreifen und so schließlich doch zu einem heilen erwachsenen Ich werden, welches sein Wahres Selbst erkennen und sich in seinen Dienst stellen kann.

 

 

Was ist der therapeutische Prozess und welche Rollen haben in ihm Klient(inn)en und Therapeut?

 

Aus dem bisher Gesagten ergibt sich, was die Aufgaben einer Therapie, wie wir sie sehen, sind:

 

  • Klient(inn)en sollen in die Lage versetzt werden, sich in ihrer ganz persönlichen Identitätsstruktur  zu erkennen, zu erfahren wie diese zusammenhängt mit den Problemen und Symptomen, die sie veranlassen sich in Therapie zu begeben und wie ihre aktuelle psychische Konstitution hervorgegangen ist aus den konkreten Erlebnissen, Erfahrungen und Ereignissen ihrer persönlichen Biographie.

 

  • Dazu ist es notwendig, dass sie sich öffnen können, vorbehaltlos wahrnehmen, fühlen, zulassen, annehmen und sich bewusst machen können, was ist. Es geht darum, Gedanken, Erinnerungen, Träume, Bilder und Emotionen aufmerksam erleben und dann ausdrücken und mitteilen zu können.

 

  • Neben der inhaltlichen Analyse, dem Aufdecken von Zusammenhängen, schafft das sich vertrauensvoll Mitteilen- können (mit dem echten Gefühl vorurteilsfrei angenommen und ernst genommen zu werden) in der Therapie an sich schon Entlastung.

 

  • Über diese Prozesse der Bewusstwerdung hinaus ist vor allem das emotionale sich selbst Erleben von entscheidender Bedeutung. Klient(inn)en können sich selbst wieder wirklich spüren lernen. Das unmittelbare Erfahren und Durchleben teilweise lange aufgestauter, abgespaltener Gefühle in einem sicheren, geschützten Raum des Vertrauens, des Verständnisses, der Wertschätzung und Unterstützung wirkt nicht nur kurzfristig enorm befreiend, ja manchmal regelrecht euphorisierend, es setzt auch wichtige innere Heilungs- und Wachstumsimpulse in Gang, in deren Folge wiederum neue tiefere Erkenntnisse und emotionale Erfahrungen möglich werden.

 

  • Dies geschieht nicht einfach so. Klient(inn)en müssen bereit sein, sich schonungslos einzulassen auf den Weg zu sich selbst. Dabei begegnen sie großen inneren Widerständen. Häufig wird sich alles in ihnen dagegen sträuben, sich Erinnerungen und Gefühlen zu stellen, die sie womöglich ein Leben lang sorgfältig gemieden haben. Diese Blockaden müssen überwunden und allmählich abgebaut werden, indem die sie flankierenden negativen Gefühle aktiv angegangen, durchlebt und ausgedrückt, d.h. manchmal auch regelrecht abreagiert werden im sicheren Rahmen des geschützten Raumes der Therapie.

 

 

Dies alles gehört zum therapeutischen Prozess. Doch er geht weit darüber hinaus.  Wie wir gezeigt haben, befinden wir alle uns in einem Selbstentfaltungsprozess. Der therapeutische Prozess im engeren Sinne kann nur ein Teil sein dieses umfassenderen Prozesses, der unser Leben lang andauert. Er setzt Entwicklungen, Erkenntnis- und Wachstumsprozesse in Gang, die Zeit brauchen um sich zu entfalten und die weit über die Dauer einer Therapiesitzung und im besten Fall über die gesamte Therapie hinaus andauern. Schließlich geht es darum durch eine Therapie wieder in die Spur zu kommen, d.h. auf dem uns jeweils ureigenen Weg der Bewusstwerdung und Selbstwerdung unterwegs zu sein, den wir alle unser Leben nennen.

 

 

Hieraus folgt:

 

 

Der therapeutische Prozess ist nicht etwas, das der Therapeut macht und Klient(inn)en passiv rezipieren.

Der Therapeut kann nicht reparieren, nicht heil machen; Heilung kann nur aus dem Selbst der Klient(inn)en erwachsen. Der Therapeut muss ihnen hierbei beistehen, sie unterstützen, bestärken, gelegentlich herausfordern, ihnen Mut machen, und helfen Erlebnisse, Gefühle und innere Bilder zu verstehen.

 

Die unverzichtbare Basis für all dies ist die vertrauensvolle Beziehung zwischen Klient/in und Therapeut: eine gleichberechtigte, partnerschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe, der persönliche Kontakt, die existenzielle Begegnung von Mensch zu Mensch.

 

Der Therapeut besitzt zwar einen Erfahrungsvorsprung, "Expertenwissen" und eine prinzipielle Einstellung der Offenheit, er ist aber auch nur ein Mensch mit Fehlern, Schwächen und Beschränkungen. Klient(inn)en und Therapeut gehen gemeinsam in einen Prozess, in dem sich der Therapeut selbstverständlich in den Dienst der Klient(inn)en stellt (genauer gesagt in den Dienst ihres Selbst), der aber auch für ihn immer ebenso Teil seiner eigenen persönlichen Entwicklung ist, auch wenn dies im Rahmen der therapeutischen Arbeit natürlich in den Hintergrund tritt.

 

Klient(inn)en ihrerseits sind zunächst einmal "Expert(inn)en in eigener Sache". Niemand kennt sie so, wie sie sich selbst, auch dann nicht, wenn sie zu ihrem Wahren Selbst wenig Zugang haben. Sie sind diejenigen, in denen letztlich alles steckt, alles Wissen, alle Potenziale und Möglichkeiten, die entdeckt, wiedergefunden und aktiviert werden sollen. Das bedeutet aber auch, dass sie diejenigen sind, die die eigentliche Arbeit leisten müssen. Sie müssen den Willen, die Motivation und den Mut aufbringen, sich immer wieder aufs Neue ihren Gefühlen und Erkenntnissen zu stellen und gegen Widerstände durchzusetzen, um weiter voranzukommen.

 

Nach einer gewissen Zeit kommt der eigentliche therapeutische Prozess in Gang. Er ist gewissermaßen der Pfad, der sich von selbst zu entfalten beginnt. In ihm ergeben sich konkrete Problemstellungen, Arbeitsaufträge, Lösungsansätze etc. Das Unbewusste, oder besser gesagt, das Selbst der Klient(inn)en besitzt die Tendenz sich selbst heilen und zur Ganzheit bringen zu wollen, gute und gesunde Strukturen zu etablieren und es weist immer wieder den Weg, den es zu gehen gilt, auch wenn auf diesem massive Hindernisse zu überwinden sind. Die Zeichen des Selbst zu sehen, zu deuten und in die richtigen Schritte zu übersetzen, ist eine Hauptaufgabe des Therapeuten.

 

Man kann eine Therapie mit der Besteigung eines Berges vergleichen und die Rolle des Therapeuten mit der eines Bergführers. Er ist erfahren, kennt sich mit Bergen aus, doch jeder Berg ist anders und dieser konkrete Berg, vor dem er nun mit einer Klientin / einem Klienten steht, ist mit seinen Eigenheiten auch ihm zunächst einmal unbekannt.

 

Die grundsätzliche Richtung ist klar, es geht hinauf zum Gipfel. Wie genau eine gangbare Route aussieht, muss auch der Bergführer erst herausfinden. Er kann den Berg lesen und einen geeigneten Einstieg finden und die Klient(inn)en auf ihrem Weg begleiten und unterstützen. Erklimmen jedoch müssen sie den Berg selbst. Das ist mühsam, anstrengend, herausfordernd, bisweilen auch gefährlich, aber das kann ihnen niemand abnehmen.

 

Der Bergführer kann sie nicht hinauftragen. Auch gibt es keinen Lift oder ähnliches. Manche werden versucht sein, einen Trick finden zu wollen, mit dem sie auf den Gipfel kommen, ohne die Mühen und die Gefahren des Aufstiegs, doch ist es unumgänglich sich genau diesen zu stellen und sie zu meistern.

Schwierige Passagen, Abgründe und Situationen, in denen es nicht mehr weiterzugehen scheint, werden unterwegs immer wieder auftreten. Es wird Momente geben, wo sie der Mut verlässt, sie keine Lust mehr haben, völlig erschöpft, verzweifelt oder verängstigt sind. Doch es gibt immer eine Lösung, immer einen Weg, auch wenn es manchmal lange dauert, ihn zu finden, und sie sind dabei niemals alleine.

Hier ist der Bergführer gefragt, Wege aufzuzeigen, einen sicheren Tritt zu finden, den Klient(inn)en Halt zu geben, ihnen Mut zuzusprechen, auch dort weiterzugehen, wo sie meinen nicht mehr weiterzukönnen, aber letztlich auch zu erkennen, wo es wirklich gefährlich wird und dann alternative Pfade vorzuschlagen.

Dafür müssen Klient(inn)en ihm vertrauen, ihm zutrauen, dass er sie sicher geleitet, schützt und ihnen letztlich hilft, allen Widrigkeiten zum Trotz, heil auf den Berg hinaufzukommen.

 

 

Was sind die Ziele von Therapie?

 

Klient(inn)en kommen in die Therapie mit bestimmten Problemen, die es natürlich zu bearbeiten gilt.

Ebenso ist es Aufgabe, konkrete Symptome und psychische Leiden wie Ängste, Zwänge, Abhängigkeiten, Beziehungsprobleme und vieles mehr zu überwinden. Doch sind diese Dinge unserer Auffassung nach eingebettet in viel umfassendere Wachstums-, Reifungs- und Ganzwerdungsprozesse, die durch eine Therapie auf den Weg gebracht werden können.

 

Zu den grundsätzlichen Bedingungen für ein gutes und sinnerfülltes Leben gehört eine gut entwickelte erwachsene persönliche Identität mit einer gesunden Beziehung zwischen Ich und Selbst. Eine solche reife, erwachsene Persönlichkeit lässt sich vereinfacht festmachen an 6 zentralen Eigenschaften:

 

Authentizität, Autonomie, innere Freiheit, Selbstverantwortung, Liebesfähigkeit und Erkenntnisfähigkeit.

 

 

Authentizität:

 

Authentisch sind wir als Mensch nach unserem Verständnis dann, wenn wir in gutem Kontakt zu unserem Wahren Selbst stehen, wir auf dem Weg sind zu werden, wer wir wirklich sind und nicht identifiziert mit irgendeinem selbstgeschaffenen oder von außen übernommenen Ideal, wenn wir echt sind und nicht reine Fassade, wir nicht bloß Rollen spielen und uns selbst weder für die Allergrößten halten, noch für völlig minderwertig, sondern ein realistisches Selbstbild haben, wir aus unserer Selbstgewissheit heraus wahrhaftig und selbstsicher handeln können und "uns gut fühlen in unserer Haut".

 

 

Autonomie:

 

Ein autonomer Mensch kann sich unabhängig wohlfühlen. Er hat gelernt, sich selbst anzunehmen und vertraut darin, dass er, so wie er wirklich ist, gut, richtig und liebenswert ist. Er braucht sich nicht ständig zu beweisen oder sich als würdig erweisen.

 

Er ist frei von unstillbarer Sehnsucht (die eigentlich nach außen projizierte Selbstsehnsucht ist), die sich manifestiert in Abhängigkeit, sei es von der Anerkennung anderer, von materiellem Reichtum, Erfolg, Berühmtheit, Macht oder von Genuss- oder gar Suchtmitteln. Er weiß, was er "wert ist", kennt aber auch seine Grenzen.

 

Nur der autonome Mensch, der andere nicht als Mittel seiner Selbstbestätigung (miss-) braucht, sie nicht mit Sehnsüchten und Projektionen belädt und sie weder idealisiert noch abwertet, ist auch wirklich fähig zu echten und guten zwischenmenschlichen Beziehungen. Nur ein autonomer Partner kann ein guter Partner sein.

 

 

Innere Freiheit:

 

Autonomie und Freiheit sind eng miteinander verknüpft. Um unabhängig zu sein, müssen wir innerlich frei sein von Minderwertigkeitsgefühlen oder Grandiositätsansprüchen sowie destruktiven Mustern der Selbstverleugnung und Selbstverweigerung, die uns in unserer Freiheit einschränken und uns daran hindern, unser wahres Potenzial zu entfalten.

 

Doch zur Freiheit gehört neben der Frage wovon immer auch die Frage: Freiheit wozu? Die Freiheit, sich vom Leben beschenken zu lassen, die Wahlmöglichkeiten im Leben zu nutzen und das zu ergreifen, was das Leben an Chancen bietet, um weiterzukommen.

 

Dazu müssen wir erst einmal akzeptieren, dass die Wahlmöglichkeit und das Recht davon Gebrauch zu machen unverzichtbar zum Recht auf Leben gehören. Zugleich ergibt sich hieraus aber auch eine Verpflichtung, Entscheidungen zu treffen und zwar zu allererst die persönliche Entscheidung für eine Hinwendung zum Leben:

Die Entscheidung, "das Leben bei den Hörnern zu packen", uns voll und ganz einzulassen und unser Potenzial zu verwirklichen. Dabei ergibt sich aus der Freiheit der Möglichkeiten automatisch die Verantwortung, mit diesen auch entsprechend umzugehen.

 

 

Selbstverantwortung:

 

Als innerlich freie, reife, erwachsene Persönlichkeiten leben wir in dem Bewusstsein, dass wir selbst verantwortlich sind für unser Leben und dafür wer wir sind. Wir sind nicht hilflos, nicht ausgeliefert, sind keine Opfer. Wir haben die Freiheit, die Ressourcen und daher auch die Verantwortung uns zu entwickeln und zu werden, wer wir wirklich sind, was bedeutet, uns als Ich in den Dienst unseres Selbst zu stellen, indem wir uns selbst spüren, erkennen und den Impulsen unseres Selbst, sich zu entfalten, vertrauen und ihnen folgen.

 

Dieser Verantwortung im Alltag gerecht zu werden ist nicht einfach in einer Welt, die weitgehend darauf ausgerichtet zu sein scheint, genau das Gegenteil in uns zu entfachen. Die vielfältigen Verführungen der modernen Konsumgesellschaft zielen gerade darauf ab, uns ständig zu zerstreuen, damit wir uns nach dem Lust-/Unlust- Prinzip selbstvergessen treiben lassen, während die Leistungsgesellschaft uns auffordert, uns im narzisstischen Hamsterrad von Karriere und dem Streben nach Reichtum, Macht und Anerkennung zu verausgaben.

In einer narzisstischen Gesellschaft nicht (oder sagen wir lieber möglichst wenig) narzisstisch zu sein, ist eine der Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen.

 

Auch das gehört zur Selbstverantwortung: Wir können uns nicht damit rechtfertigen, dass wir doch alle nur Produkte unserer Umwelt sind. Wenn wir das tun, betrachten wir uns wieder als unfrei, als abhängig und letzten Endes als Opfer. Doch genau das sind wir tatsächlich nicht, und wir alle sind aufgerufen unsere Verantwortung für uns selbst und damit auf ganz natürliche Weise auch für unsere Mitmenschen und unsere Umwelt im gebotenen Maße an- und wahrzunehmen.

 

 

Liebesfähigkeit:

 

Die Fähigkeit zu lieben setzt erst einmal voraus die Fähigkeit wirklich zu fühlen. Wer seine Emotionen abgespalten und vergraben hat und keinerlei Kontakt mehr zu seinem Selbst spürt, der ist auch nicht fähig, echte Liebe zu empfinden, weder für andere noch für sich selbst.

 

Um Missverständnissen vorzubeugen sei hier gesagt:

 

Selbstliebe hat nichts zu tun mit narzisstischer sog. Selbstverliebtheit, die eigentlich Egoverliebtheit heißen müsste. Denn erstens "liebt" der narzisstisch verletzte Mensch nicht sein Selbst, das er ja gerade verleugnet, um sein Ego als Falsches Selbst an dessen Stelle setzen zu können.

Zweitens liebt der Narzisst hier gar nicht, denn es ist nichts da, das man lieben könnte: Das Ego ist reine Projektionsfläche und der Narzisst projiziert all das, was er gerne wäre, was er glaubt sein zu müssen, um geliebt zu werden, in dieses Ego hinein. Ein solches Projizieren von Sehnsüchten und Idealvorstellungen ist Kennzeichen von Verliebtheit im Gegensatz zu echter Liebe, die ohne Bedingung und uneingeschränkt das annimmt, was wirklich ist.

 

Uns selbst (als Selbst) zu lieben ist der natürliche Zustand.

 

Wenn wir uns (als) Selbst erkennen, uns als echt und frei erleben, als gut und richtig spüren und anerkennen, dann sind wir auch in der Lage uns selbst zu lieben, bedingungslos und so wie wir wahrhaftig sind. Wenn uns das gelingt, können wir das Urvertrauen zurückgewinnen in das Leben (als Prozess) und in uns selbst.

 

Erst wer bereit ist, sich selbst in allen Facetten zu spüren, der ist auch fähig, positive Emotionen wie Freude, heitere Gelassenheit, Akzeptanz, Vertrauen und Liebe vollends zu empfinden, sich zu öffnen und sich selbst ebenso wie anderen liebevoll zu begegnen. Er braucht sich nicht aus Furcht vor negativen Gefühlen wie Angst, Scham, Wut oder Trauer zurückzuziehen, einzukapseln und zu verschließen, sondern kann sich diesen Gefühlen, wo sie auftreten, stellen und ist in der Lage das volle Spektrum aller Emotionen anzunehmen und zu erleben.

 

Wenn wir in dieser Weise offen und emotional durchlässig sind und wir uns selbst erkennen und liebevoll annehmen, dann brauchen wir auch andere Menschen nicht mehr als Projektionsfläche für unsere Sehnsüchte und zur Bestätigung dafür gut und richtig zu sein. Wir können auch sie so sehen und annehmen wie sie tatsächlich sind und sie bedingungslos einfach um ihrer selbst willen lieben. Somit sind wir in der Lage uns selbst zu lieben, andere zu lieben und Liebe anzunehmen.

 

 

Erkenntnisfähigkeit:

 

Allgemein ist die Erkenntnisfähigkeit die Aufgabe des Ich. Wir haben bereits früher das Ich als das Erkenntnisorgan innerhalb der Persönlichkeitsstruktur beschrieben, das für Welt- und Selbsterkenntnis zuständig ist und sich dabei in den Dienst des Wahren Selbst stellt. Das Selbst erkennt sich vermittels des Ich. Ein gut entwickeltes gesundes Ich ist somit für eine reife Persönlichkeit eine notwendige Voraussetzung.

 

Neben der Selbst- Erkenntnis ist es entscheidend, dass wir unser Leben erkennen als einen Prozess im Gegensatz zu einem statischen Zustand, als ein Werden im Gegensatz zu einem Sein.

 

Wenn wir beides gemeinsam verstehen, begreifen wir uns Menschen als prinzipiell im Prozess der Ich-bewusstwerdung, ausgehend vom geistigen Kern unseres Selbstseins.

 

Je weiter wir in diesem Prozess vorankommen, umso klarer können wir uns selbst wahrnehmen und erkennen, wer wir wirklich sind in unserer umfassenden Identität als Ich - Selbst. Auf diese Weise gehen Bewusstwerdung und Selbstsein Hand in Hand.

 

 

 

Diese sechs Merkmale der reifen Persönlichkeit kreisen alle um das Kernthema der Öffnung für unser wahres Selbstsein.

 

Diese ist, wie beschrieben, ein offener Prozess, in dem wir alle prinzipiell weiterkommen können. Auf diesem Weg werden wir uns unserer selbst bewusster, wir werden authentischer, autonomer und freier, übernehmen für uns selbst zunehmend Verantwortung und nehmen uns selbst liebevoll an.

 

Indem Therapie einen Beitrag dazu leistet, hier erst einmal ein Bewusstsein zu schaffen und in der Folge dessen, eine Haltung, die diesen Prozess selbstverständlich als zentrale Lebensaufgabe annimmt, schafft sie eine neue Perspektive auf Herausforderungen und Probleme und darüber hinaus auf die eigene Person, die Welt und das Leben insgesamt.

 

Selbstverständlich gibt es im Leben keinen Endpunkt dieses Prozesses, an dem eine vollkommen entwickelte, reife Persönlichkeit vollends realisiert wäre, und natürlich verläuft die Entwicklung auch nicht geradlinig, sondern es gibt Phasen kleinerer und größerer Fortschritte und - ja - auch kleinerer und größerer Rückschritte.

 

Doch wenn wir wirklich verstehen und verinnerlichen, dass wir unterwegs sind, dass wir einen persönlichen, ureigenen Weg haben, den es zu gehen gilt, statt ziellos umherzuirren, im Kreis zu laufen oder uns in eine Ecke zu setzen und aufzugeben, dann haben wir schon viel erreicht.

 

Hier kann Therapie ansetzen und helfen, den persönlichen Weg zu erkennen, ermutigen ihn anzunehmen und wirklich zu gehen, indem sie Klient(inn)en Perspektiven eröffnet, ihnen zeigt welche Potentiale sie dazu befähigen und ihnen in konkreten Situationen hilft, Hindernisse zu überwinden und voranzukommen Schritt für Schritt. Optimalerweise sollte sie sie solange unterstützen und begleiten bis sie schließlich in der Lage sind, selbstständig weiter zu gehen, und jede Herausforderung anzunehmen, die ihr Weg für sie bereithalten mag.

 

 

Der existenzialtherapeutische Ansatz:

 

Im Folgenden wollen wir versuchen eine kurze Einführung in das zu geben, was unserer Auffassung nach elementare Fragen von Psychotherapie sind:

 

  • Wie ist die menschliche Psyche strukturiert?
  • Wie entstehen möglicherweise strukturelle Probleme?
  • Was ist die Aufgabe von Psychotherapie?
  • Welche "Rollen" spielen Klient und Therapeut im therapeutischen Prozess?
  • Was sind die allgemeinen Ziele von Therapie?

 

Was ist Existenzial-Psychotherapie?

 

Die Existenzialpsychologie ist konzipiert als integrative Sichtweise, die Aspekte verschiedener psychologischer Strömungen im Rahmen der sog. Humanistischen Psychologie vereint und um einige wesentliche Elemente erweitert.

 

Grundlegend für unseren psychologischen Therapieansatz ist ein differenziertes Konzept der menschlichen Persönlichkeitsstruktur, die eine gewisse Dynamik entwickelt, die wir den existenziellen Akt nennen.

 

Dieser Akt integriert die drei Ebenen: Körper, Seele und Geist zu einer Ganzheit, die wir auch als Bewusstseinsraum bezeichnen. Dieser entfaltet sich dynamisch zwischen den beiden Polen der Persönlichkeit: dem Ich und dem Selbst.

 

Das Selbst ist das eigentliche Wesen des Menschen, das, was als Potenzial in ihm angelegt ist (Talente, Begabungen, geistige Fähigkeiten usw.) und womit das Kind geboren wird.

 

D. h. jeder Mensch kommt als Selbst auf die Welt und hat das Bestreben, sich in diesem Leben als solches optimal zu entfalten. Diese Entwicklung geschieht vor allem als ein Bewusstwerdungsprozess, für den das Selbst ein besonderes psychisches "Erkenntnisorgan", das Ich (-bewusstsein) ausbildet, mit dessen Hilfe das Selbst sich wie in einem Spiegel selbst erkennen kann.

 

Neben der Funktion dieser Selbsterkenntnis dient das Ich als "Erkenntnisorgan" generell auch dem Erkennen der (Um-) Welt. Dieses Ich (-bewusstsein) wird in den ersten anderthalb Lebensjahren ausgebildet.

 

Der Kern der Person ist und bleibt aber das Selbst, welches sich als wahre Natur eines Menschen in seinem Leben zu entfalten und zu verwirklichen strebt.

 

Eine zentrale Aufgabe unserer menschlichen Existenz besteht also darin, der zu werden, der wir wirklich sind.

 

Die verbreitete Ideologie unserer Zeit jedoch lautet: „Sei der, der Du sein willst!“ Der Mensch bestimmt demnach mit seinem Willen (der zum Ich gehört) wer er ist; er macht sich selbst.

 

Damit macht er sich aber zu einem völlig anderen als dem, der eigentlich in ihm, in seinem Wahren Selbst, angelegt ist.

 

Das rührt daher, dass viele von uns kaum noch Kontakt zu ihrem Selbst haben, dass also keine Selbst-Erkenntnis im o.g. Sinne stattfindet. Häufig wissen wir nicht einmal, dass es überhaupt existiert. Stattdessen sind wir vollständig identifiziert mit unserem Ich.

 

Das Ich ist gewissermaßen die Schnittstelle zwischen dem Menschen und seiner Umwelt und sollte als solche im Dienste des Selbst stehen. Das Selbst-vergessene Ich hingegen macht sich (zum) selbst. Es spielt sich zum Kern auf, es wird zum Falschen Selbst. Ein solches Ich, das zum Falschen Selbst geworden ist, bezeichnen wir als Ego.

 

Diese Spaltung zwischen Ich und Selbst, in der der Kontakt zum Wahren Selbst gestört ist, und dieses daher durch ein Ego (Falsches Selbst) zu ersetzen versucht wird, ist unserer Auffassung nach der Kern praktisch jeder neurotischen Struktur.

 

Solche Ego-Strukturen zu erkennen, zu bearbeiten und schließlich aufzulösen bzw. in ein angemessenes funktionales Ich- Bewusstsein zu transformieren und gleichzeitig den Kontakt zum Wahren Selbst wiederherzustellen, ist eine zentrale Aufgabe des therapeutischen Prozesses.

 

Selbst- Erkenntnis, Ich- Werdung und Selbst- Entfaltung sind aber natürlich wesentliche Aufgaben, vor die jeder von uns, nicht nur der "Kranke", gestellt ist.

 

Und so verstehen wir Therapie denn auch nicht als ein sich abarbeiten an Symptomen, sondern als umfassenderen Prozess, mit dem Ziel den Klienten jener Ganzheit ein Stück näher zu bringen, die Voraussetzung für grundsätzlich jedes glückliche, freie, autonome, selbstverantwortliche und sinnerfüllte Leben (in liebevollem Einklang mit sich selbst, seinen Mitmenschen und seiner Umwelt) ist.

 

Selbstverständlich müssen Symptome erkannt und analysiert werden. Sich jedoch auf ihre Behandlung zu beschränken, kann unserer Überzeugung nach bestenfalls kurzfristig Linderung verschaffen. Um nachhaltig zu wirken, muss sich eine Therapie mit den Ursachen hinter den Symptomen auseinandersetzen, d.h. sie muss die Strukturen, die die Symptome bedingen, aufzeigen und erklären und diese Strukturen allmählich verändern. In dem Maße in dem dies gelingt, werden Probleme und Symptome allmählich zurückgehen sowie ihre Ursachen nicht länger bestehen.

 

Dass sich neurotische Ego-Strukturen auflösen zugunsten einer guten und gesunden Ich- Selbst- Struktur, bedeutet letztlich wiederum, dass der Klient mehr und mehr der wird, der er wirklich ist.

 

Da sich, wie bereits beschrieben, grundsätzlich jeder Mensch auf diesem Weg befindet, kann Therapie "nur" dazu beitragen, hier Fortschritte zu machen, sich seiner selbst bewusster zu werden und in seiner ganz persönlichen Selbst- Entfaltung weiter zu kommen.

 

Dass die Bewusstwerdung des Selbst als ein offener Prozess eine Entwicklung ist, die prinzipiell nie ganz vollendet wird, versteht sich von selbst. Der Zustand in dem das Ziel vollkommen erreicht wäre, wird in fernöstlichen Philosophien als Erleuchtung bezeichnet. Aber auch dieser Zustand ist aus unserer Sicht nur ein punktueller und kein dauerhafter.

 

Ob dieser Punkt in unserem irdischen Leben je erreicht wird, bleibt fraglich, entscheidend ist aber, auf dem Weg zu sein und sich dessen auch bewusst zu sein, statt selbst- und sinnvergessen durch unser Leben zu irren. D.h. es kommt darauf an, in diesem Leben eine Richtung zu haben und eine Lebensaufgabe, die dieses Leben zu einer Sinngeschichte macht.

Aus dieser Perspektive ist der Weg zu uns selbst somit immer auch ein spiritueller Weg.

 

 

Das innere Kind und die narzisstische Struktur:

 

Die Theorie des inneren Kindes ist ein gängiges psychologisches Modell, das dazu dient, die komplexen und im Detail individuell sehr unterschiedlichen Entwicklungen, die zu bestimmten psychischen Strukturen führen, auf ihnen gemeinsame Muster zurückzuführen und auf allgemein verständliche Weise zu beschreiben. Dabei gibt es, wie bei jeder Theorie, in verschiedenen therapeutischen Strömungen unterschiedliche Lesarten.

 

Im Folgenden werden wir daher versuchen einen Eindruck davon zu vermitteln, wie die Vorstellung des inneren Kindes aus unserer Perspektive dazu genutzt werden kann, die Entstehung einer oben beschriebenen narzisstischen Spaltung zwischen Ich und Selbst zu erklären und darüber hinaus zu beschreiben, wie diese sich auswirkt und welche Ansätze sich bieten, mit ihr therapeutisch umzugehen.

 

Wenn ein Kind geboren wird, ist es ganz Selbst. Es verfügt noch nicht über die Selbst- erkennende Ich- Funktion. Diese entwickelt sich erst im Laufe der ersten 18 Lebensmonate. Für den Beginn seiner individuellen Bewusstwerdung bedarf das Kind daher unbedingt einer primären Bezugsperson, in aller Regel der Mutter, die diese Funktion "ersatzweise" übernimmt. Ihre Aufgabe ist es in den ersten Monaten das Selbst des Kindes in seinen Signalen, Bedürfnissen und Emotionen mit ihren eigenen erkennenden und liebenden Augen zu spiegeln. Auf dieser Basis kann das (sich) Selbst-erkennende Ich des Kindes heranreifen und die Hilfs-Ich-Funktion der Mutter allmählich erübrigen, wobei gleichzeitig die Mutter immer mehr als eigenständige, d. h. vom Kind getrennte Person erkannt werden kann.

 

 

EPA-Institut für Existenzialpsychologische Analyse, Beratung, Coaching, Aachen. Heilpraktiker für Psychotherapie.

 

 

Neben ihrer Bedeutung für die Bewusstwerdung des Kindes ist die Rolle der Mutter für die emotionale Entwicklung des Kindes mindestens ebenso entscheidend. Hier besteht ihre Aufgabe darin, das Kind, wie wir sagen, emotional zu nähren. Dies geschieht dadurch, dass sie die Grundbedürfnisse des Kindes nach Versorgung, Aufmerksamkeit, Bestätigung und Zuneigung befriedigt, vor allem aber dadurch, dass sie das Kind bedingungslos und vorbehaltlos, einfach um seiner selbst willen, liebt.

Auf diese Weise erfährt das Kind, dass es, so wie es ist, angenommen wird und daher gut und richtig ist. Es lernt somit sich selbst anzunehmen und sich ganz allgemein "in seiner Haut" gut zu fühlen. Eine gute Mutter- Kind- Beziehung ist folglich die Grundlage für die Entwicklung einer gesunden Identität mit der Fähigkeit sich selbst sowohl zu erkennen als auch zu lieben.

 

Etwa ab dem zweiten Lebensjahr kommt auch dem Vater dabei eine zunehmend wichtigere Rolle zu.

Er vermittelt dem Kind mit seiner starken männlichen, gleichwohl fürsorglichen Energie das grundlegende Gefühl von Schutz und Sicherheit. Und für die Selbstwahrnehmung und spätere Selbsterkenntnis des Kindes übernimmt der Vater eine maßgebliche existenzielle Funktion:

Der Vater gibt dem Kind die Richtung im Leben. Und es gibt nur eine Richtung: die zu sich selbst!

 

Damit begründen die Eltern in ihren antagonistisch-komplementären Rollen den lebenslangen Weg des Kindes, der es letztlich Halt und Sinn im Leben finden lässt - in sich selbst.

 

Aber nicht nur für unser Verhältnis zu uns selbst sind diese frühen Erfahrungen entscheidend, sie prägen auch maßgeblich unser Verhältnis zu anderen Menschen und zur Welt im Allgemeinen: inwieweit wir ihr offen, frei, selbstbestimmt und selbstbewusst gegenüberstehen und unser Leben aktiv und selbstverantwortlich gestalten.

 

Erfolgt die Spiegelung durch die Mutter (oder eine entsprechende Bezugsperson) nicht in angemessener Weise, so stellt dies für das Kind eine narzisstische Kränkung dar. Erfolgen solche Kränkungen dauerhaft oder in besonders tiefgreifender Weise, (denn natürlich besteht zwischen einer "optimalen" und einer praktisch gar nicht vorhandenen Spiegelung ein breites Spektrum,) so kann dies zu einer frühen narzisstischen Störung führen.

 

Hier geht es ausdrücklich nicht um Schuldzuweisung. Gründe, warum Eltern nicht fähig sind, ihr Kind hinreichend zu spiegeln, gibt es viele: Äußere Faktoren wie eine soziale und wirtschaftliche Situation etwa, die Erwerbstätigkeit mit hohem zeitlichem Aufwand unumgänglich macht, bis hin zu Notsituationen mit Vertreibung, Krieg o.ä., aber auch Faktoren, die in der Person selbst begründet liegen, wie langjährige oder chronische Krankheit; und schließlich liegt die häufigste Ursache in der eigenen psychischen Struktur der Bezugsperson. Wer selbst als Kind nicht richtig gespiegelt wurde und damit das hier Beschriebene erlebt und eine entsprechende Persönlichkeitsstruktur entwickelt hat, kann in der Regel seinem Kind auch nicht das geben, was sie/er selbst nie erfahren hat.

Mit anderen Worten: da, wo Mutter oder Vater selbst noch verletzte Kinder sind, können sie ihrerseits nur sehr begrenzt Mutter oder Vater sein.

Eltern, die sich selbst nicht lieben, die emotional instabil sind, deren Verhältnis sowohl zu sich selbst als auch zu anderen mithin nicht gut entwickelt ist, können ein Kind nicht "optimal" spiegeln und ihm gleichzeitig auch nicht uneingeschränkt vermitteln, dass es gut ist, wie es ist, dass es bedingungslos geliebt wird.

 

Dies erzeugt im Kind schmerzhafte Gefühle des nicht- erkannt- Werdens und Ungeliebt- Seins, die schließlich zu einer existenziellen Frustration führen können, da sie sein "Existenzrecht" buchstäblich in Frage stellen.

 

Für das Kind sind die Spiegel- Reaktionen der Eltern die einzige Realität: „wenn ich nicht ausreichend Liebe erfahre, bin ich nicht liebenswert; wenn ich, so wie ich bin, nicht vollständig angenommen werde, dann muss mit mir etwas nicht stimmen, dann bin ich falsch! Ich dürfte eigentlich nicht sein, wie ich bin“ und in letzter Konsequenz „ich dürfte gar nicht sein.“

 

Das Kind kann nicht anders, als sich hierfür selbst die Schuld zu geben. Gleichzeitig schämt es sich abgrundtief dafür, so zu sein wie es ist: offenbar unwert geliebt zu werden.

 

Dies alles geschieht selbstverständlich noch vollkommen unbewusst, jedoch spürt das Kind die immense Flut an negativen Gefühlen und eine tiefe innere Verletzung seiner Herzgefühle, die wir als Trauma verstehen.

 

Um diese unerträglichen Frustrationsgefühle des Selbst nicht mehr fühlen zu müssen, werden sie vom gerade erst entstehenden Ich-Bewusstsein abgespalten und, bildlich gesprochen, "vergraben". Hier entsteht die Basis für das depressive Gefühl der Gefühllosigkeit: „es ist besser gar nichts zu fühlen, als mich immer nur schlecht zu fühlen.“

 

Das Ich schottet sich ab gegenüber dem Selbst mit all seinen furchtbaren Emotionen.

 

Der Zugang zum Selbst mit seinen abgespaltenen negativen Gefühlen wird dabei durch ein Abwehrbollwerk aus Angst und Wut blockiert. Alles, was später auch nur ansatzweise an diese "Selbst- Scham-Wunde" rührt, wird mit heftigen Angst- und Wutreaktionen beantwortet, um klarzumachen: „dies ist vermintes Gebiet“, „Zutritt verboten!“

 

Angst, Wut und Scham sind im Wesentlichen die einzig verbleibenden intensiven Gefühle, wenngleich auch sie natürlich bestmöglich gemieden werden. Ansonsten ist ein Mensch mit narzisstischer Frühstörung weitgehend echter Gefühle beraubt, vor allem der Fähigkeit, sein Herz für die Liebe zu öffnen.

 

Damit ist die narzisstische Spaltung zwischen Ich und Selbst weitgehend vollzogen. Die Dynamik zwischen den beiden Polen ist blockiert, das emotionale Spektrum extrem eingeschränkt.

 

 

EPA-Institut für Existenzialpsychologische Analyse, Beratung, Coaching, Aachen. Heilpraktiker für Psychotherapie.

 

 

Am Anfang der narzisstischen Spaltung steht eine negative Selbstwahrnehmung als unbewusste Spiegelung der tief abgespaltenen Frustrationsgefühle des Wahren Selbst, zu dem inzwischen nur noch wenig Kontakt besteht (hauptsächlich über den Körper).

 

Diese Wahrnehmung besagt: „Ich bin nicht liebenswert. Niemand sieht mich. Niemand versteht mich. Niemand mag mich. Niemand will mich haben. Ich gehöre nirgendwo wirklich dazu, und es gibt keinen richtigen Platz für mich. Es wäre besser, wenn es mich gar nicht gäbe..."

 

So oder so ähnlich drücken sich die tiefen Selbstzweifel und die quälenden Empfindungen von Minderwertigkeit und Unzulänglichkeit aus.

 

Ein scheinbarer Ausweg aus dieser Situation besteht für das Kind, das inzwischen etwa 3 -5 Jahre alt ist, im zunehmenden Rückzug in seine innere Phantasiewelt.

 

Kinder in diesem Alter befinden sich in der sog. magischen Phase: Die Grenzen zwischen Traum, Phantasie und Realität sind fließend. Die Welt ist überwältigend groß, unerklärlich, geheimnisvoll und voller Abenteuer. Erwachsene, vor allem die Eltern, erscheinen gottgleich, allwissend und allmächtig und auch sich selbst nimmt das Kind hier in seiner Phantasie gerne als besonders, übermächtig, unverwundbar, unbesiegbar etc. wahr.

 

Wird ein Kind in seinen Bedürfnissen nicht hinreichend befriedigt, zieht es sich zurück in diese Phantasiewelt, die es beherrscht und in der es stark und unverwundbar ist, um sich selbst zu schützen. Dies ist ein normaler Vorgang, der bei einer leichten Kränkung nur vorübergehend ist. Tiefe oder sich ständig wiederholende Kränkungen jedoch führen dazu, dass das Kind sich immer weiter und beständig aus der unangenehmen Realität zurückzieht in eine sog. Überlegene Isolation.

 

Dieses magische Bewusstsein wird schließlich zur dauerhaft konservierten Struktur als Ausgangspunkt für die spätere vermeintliche innere Überlegenheit der heranreifenden Person: „Ich brauche Eure Anerkennung und Liebe nicht! Ich brauche Euch nicht! Ich bin eh viel besser als Ihr. Ich brauche niemanden! Ich bin mein eigenes Ideal."

 

An diesem Punkt installiert sich das (vom Wahren Selbst getrennte) Ich als eine Art "Ersatz-Selbst". Das Wahre Selbst existiert aber weiterhin, wenn auch "im Verborgenen". Somit spielt sich das Ich also auf zu einem Falschen Selbst. Ein solches nennen wir Ego.

 

 

EPA-Institut für Existenzialpsychologische Analyse, Beratung, Coaching, Aachen. Heilpraktiker für Psychotherapie.

 

 

Im Rahmen des Modells vom inneren Kind können wir sagen: Die Entwicklung des erst rudimentär ausgebildeten kindlichen Ich kommt hier gewissermaßen zum Stillstand, sie wird angesichts des Traumas eingefroren und manifestiert sich im Ego, das in vielerlei Hinsicht kindliche Eigenschaften behält:

 

Es bleibt von anderen (zunächst den Eltern, später "Ersatz"- Bezugspersonen, wie Partner, eigene Kinder etc.) abhängig, bleibt meist in der Forderungshaltung, weigert sich selbst Verantwortung zu übernehmen, vor allem aber entwickelt es eine unstillbare Sehnsucht, eigentlich nach seinem Wahren Selbst; da dieses aber abgespalten ist, richtet sich die Sehnsucht nach außen, zunächst auf die Eltern, später auf Partner, Kinder, materielle Güter, Erfolg, Anerkennung usw.

 

Das Ego wird aufgeblasen zu einem grandiosen Idealbild von sich selbst, mit dem man sich identifizieren kann um dadurch unabhängig zu werden von der Bewertung durch andere.

 

Diese zunehmend realitätsferne Idealisierung der eigenen Person bringt aber nur scheinbar Autonomie, denn die tiefe Angst davor, als unecht und "reine Fassade" durchschaut zu werden, manifestiert sich zugleich in der ständigen bangen Grundfrage: „wie muss ich sein und was muss ich tun, um endlich doch geliebt zu werden?"

 

Die gängigen Antworten auf diese Frage lauten: „Ich muss etwas Besonderes sein. Ich muss besser sein als andere, schöner, stärker, klüger, attraktiver, intelligenter usw.“ Ein Klient formulierte sein Lebensmotto in dieser Phase so: „Lieber tot als Zweiter!“

Dahinter verbirgt sich die Hoffnung, sich Liebe oder wenigstens Anerkennung verdienen zu können: Wenn ich nur richtig "performe", werde ich akzeptiert, anerkannt, vielleicht sogar bewundert oder gar beneidet.

 

Wer als Falsches Selbst (also als Ego) lebt, muss sich unangreifbar machen, darf sich keine Fehler und Schwächen erlauben, muss sich absolut unter Kontrolle haben, muss sich genau so verhalten, wie man es von ihm erwarten würde (wenn er echt wäre).

Und früher oder später kommt er zu der rigiden Überzeugung: wahre Unabhängigkeit liegt nur in persönlicher Macht - meistens auf der Basis von besonderer Leistung und Erfolg (der aber selten von Dauer ist), aber auch in der vermeintlichen inneren Freiheit von "sentimentaler Gefühlsduselei".

 

Eine andere Variante sucht ihr Heil in der totalen Anpassung und in der Selbstausbeutung, stets sehnlichst darauf bedacht, gemocht zu werden und wenigstens ein bisschen Anerkennung zu finden.

 

Dabei geht der Kontakt zum Wahren Selbst immer noch tiefer verloren, das Herz ist zunehmend blockiert, die Einsamkeit und innere Leere wird immer drückender, bis irgendwann der Punkt erreicht ist, wo es nicht mehr weiter geht.

Oft genügt dann ein kleiner Misserfolg, eine Ablehnung, ein Hauch von Kritik, um das Ego als Falsches Selbst abstürzen zu lassen in gnadenlose Selbstzweifel und Selbstabwertung, in jähe Scham- und Schuldgefühle, im Extremfall bis in die tiefe Depression.

 

Auf den Absturz folgt die allmähliche "Problemlösung" nach "bewährtem" Muster: Das unerträgliche negative Selbstgefühl wird erneut verdrängt, das Ego wiederaufgebaut durch erneute Selbstüberhöhung und Abwertung anderer. Das "Spiel" beginnt von vorn.

In diesem ständigen Wechsel zwischen Selbstidealisierung und Selbstabwertung, zwischen Grandiosität und Minderwertigkeit, entsteht ein jeweiliges persönliches Muster - wir nennen das den persönlichen narzisstischen "Paternoster" - als individuelle dynamische Charakterstruktur. Diese unterscheidet sich individuell danach, ob Grandiosität oder Minderwertigkeit vorherrschen, wie extrem die Ausprägung der Seiten ausfällt, wie häufig sie wechseln usw.

 

Der narzisstische Spaltungsmechanismus wird auch wirksam in der generellen Einteilung von Gut und Böse in der Wahrnehmung und Bewertung Anderer: zu den Guten gehört, wer die eigene Grandiosität stützt und fördert durch Anerkennung und Bewunderung oder sie zumindest nicht entlarvt; zu den Bösen gehört, wer die Grandiosität bedroht oder angreift durch Kritik, Ablehnung oder gar Entlarvung oder Bloßstellung, was unweigerlich einen weiteren Absturz mit peinlichsten Schamgefühlen zur Folge hätte.

 

So wie der narzisstisch gestörte Mensch sich selbst nicht in seiner Ganzheit wahrnehmen und erkennen kann, ist er auch unfähig, andere realistisch einschätzen und verstehen zu können. Er urteilt generell nur nach der Frage: „Ist der andere für mich oder gegen mich? Kann er mich aufbauen oder erschüttern?"

 

In partnerschaftlichen Beziehungen sucht er deshalb nach einem Pendant, das komplementär zu seiner Struktur passt wie der "Schlüssel aufs Schloss".

 

Konkret sucht typischerweise der narzisstische Mann sich eine narzisstische Frau, die sich mit seinem vermeintlich starken Selbstbewusstsein, seiner inneren Unabhängigkeit und seinem Nonkonformismus identifizieren kann (möglichst in einer symbiotischen Beziehung) und ihn dafür idealisiert und bewundert, was ihn stabilisiert und weiter aufbaut.

 

Im Idealfall dankt er es ihr mit dem Satz: „Du bist die perfekte Frau für mich - ich brauche dich" (in älteren Hollywoodfilmen häufig: „ich kann ohne dich nicht leben"), was sie dankbar als totale Anerkennung und vollkommene Liebe interpretiert und sich ihrerseits wieder mit dem Satz revangiert: "Nur wenn ich bei dir bin, kann ich ganz ich selbst sein - ohne dich bin ich nichts!", was ihn wiederum sehr von sich selbst und ihrer Liebe überzeugt usw. Natürlich funktioniert dies ebenso mit vertauschten Geschlechterrollen.

 

Das Modell des inneren Kindes bietet einen Ansatz, wie man mit einer solchen Struktur arbeiten kann. Auch narzisstisch gespaltene Menschen bleiben natürlich nicht einfach ein Kind. Auch sie entwickeln Fähigkeiten und Qualitäten, die ein erwachsener Mensch zum Leben braucht. Aber das innere Kind bleibt ein mehr oder weniger dominanter Teil ihrer Persönlichkeit. Das bedeutet: sie bleiben selbst als Erwachsene mehr oder weniger mit ihrem Kind- Muster identifiziert.

 

Um die kindlichen Ego-Strukturen zu überwinden, müssen zunächst die vorhandenen Aspekte eines Erwachsenen- Ichs gestärkt werden. Hierfür ist es hilfreich, sich bewusst zu machen, wo man mit seinem inneren Kind identifiziert ist, welche Gefühle, Sehnsüchte, Ambitionen usw. eigentlich zu ihm und nicht zu der heutigen erwachsenen Person gehören. Nicht „Ich habe Angst“, „Ich bin wütend“, „Ich schäme mich“ …, sondern „Mein inneres Kind hat Angst, ist wütend, schämt sich“ usw.

 

Dies löst allmählich die Identifikation mit dem inneren Kind. Gleichzeitig zeigt sich, dass, was für das Kind unaushaltbar war und ist, für die erwachsene Person zwar mitunter eine gewaltige Herausforderung darstellt, aber letztlich doch zu bewältigen ist.

 

Ein Kind kann nicht rationalisieren, nicht erklären bzw. verstehen, warum seine Bedürfnisse nicht erfüllt werden. Es ist den Gefühlen, die dies erzeugt, ausgeliefert und kann sich vor diesen nur verstecken, sich zurückziehen und sie abspalten als Überlebensstrategie. Die Situation, die ihm suggeriert „Ich bin falsch“ ist regelrecht existenzbedrohend. Mit seiner Strategie sichert das Kind sein Überleben.

 

Der erwachsene Mensch kann (rückblickend) verstehen, warum die Bezugsperson nicht in der Lage war, das Kind "optimal" zu spiegeln, und er kann erkennen und muss vor allem auch anerkennen, dass das Kind mit seiner Strategie sein Überleben gesichert hat und dass es dafür nicht verurteilt und gehasst werden darf, auch wenn es damit den Boden für die persönlichen Probleme bereitet hat, mit denen er heute kämpft.

 

Das damalige reale Kind konnte und das innere Kind heute kann den Weg durch das Trauma nicht gehen. Daher muss die Identifikation mit dem Kind-Ich gelöst und das erwachsene Ich ertüchtigt werden. Dann kann dieses den Weg gehen und mit dem Wahren Selbst wieder in Kontakt kommen. Dabei muss das innere Kind "mitgenommen" werden. Es muss angenommen werden in seinem Leid und seinem Schmerz, bei seinem vergeblichen Versuch sich selbst zu heilen und zum Selbst zu kommen. Es ist nicht schuld daran, dass es nicht tun konnte, was das erwachsene Ich tun kann.

 

Auf dem Weg zum Selbst müssen die auftretenden Emotionen von Angst, Wut, Scham und Trauer gespürt, durchlebt und ausgedrückt werden. Indem diese aufgestauten Gefühle gelebt und die sie auslösenden Bedingungen erkannt, benannt und schließlich betrauert und somit verarbeitet und nachträglich integriert werden, wird das "eingesperrte" innere Kind "befreit" und gleichzeitig aufgelöst. Das durch das Trauma in seiner Entwicklung eingefrorene (Kind-) Ich kann gewissermaßen nachreifen und so schließlich doch zu einem heilen erwachsenen Ich werden, welches sein Wahres Selbst erkennen und sich in seinen Dienst stellen kann.

 

 

Was ist der therapeutische Prozess und welche Rollen haben in ihm Klient(inn)en und Therapeut?

 

Aus dem bisher Gesagten ergibt sich, was die Aufgaben einer Therapie, wie wir sie sehen, sind:

 

  • Klient(inn)en sollen in die Lage versetzt werden, sich in ihrer ganz persönlichen Identitätsstruktur  zu erkennen, zu erfahren wie diese zusammenhängt mit den Problemen und Symptomen, die sie veranlassen sich in Therapie zu begeben und wie ihre aktuelle psychische Konstitution hervorgegangen ist aus den konkreten Erlebnissen, Erfahrungen und Ereignissen ihrer persönlichen Biographie.

 

  • Dazu ist es notwendig, dass sie sich öffnen können, vorbehaltlos wahrnehmen, fühlen, zulassen, annehmen und sich bewusst machen können, was ist. Es geht darum,Gedanken, Erinnerungen, Träume, Bilder und Emotionen aufmerksam erleben und dann ausdrücken und mitteilen zu können.

 

  • Neben der inhaltlichen Analyse, dem Aufdecken von Zusammenhängen, schafft das sich vertrauensvoll Mitteilen- können (mit dem echten Gefühl vorurteilsfrei angenommen und ernst genommen zu werden) in der Therapie an sich schon Entlastung.

 

  • Über diese Prozesse der Bewusstwerdung hinaus ist vor allem das emotionale sich selbst Erleben von entscheidender Bedeutung. Klient(inn)en können sich selbst wieder wirklich spüren lernen. Das unmittelbare Erfahren und Durchleben, teilweise lange aufgestauter, abgespaltener Gefühle in einem sicheren, geschützten Raum des Vertrauens, des Verständnisses, der Wertschätzung und Unterstützung wirkt nicht nur kurzfristig enorm befreiend, ja manchmal regelrecht euphorisierend, es setzt auch wichtige innere Heilungs- und Wachstumsimpulse in Gang, in deren Folge wiederum neue tiefere Erkenntnisse und emotionale Erfahrungen möglich werden.

 

  • Dies geschieht nicht einfach so. Klient(inn)en müssen bereit sein, sich schonungslos einzulassen auf den Weg zu sich selbst. Dabei begegnen sie großen inneren Widerständen. Häufig wird sich alles in ihnen dagegen sträuben, sich Erinnerungen und Gefühlen zu stellen, die sie womöglich ein Leben lang sorgfältig gemieden haben. Diese Blockaden müssen überwunden und allmählich abgebaut werden, indem die sie flankierenden negativen Gefühle aktiv angegangen, durchlebt und ausgedrückt, d.h. manchmal auch regelrecht abreagiert werden im sicheren Rahmen des geschützten Raumes der Therapie.

 

 

Dies alles gehört zum therapeutischen Prozess. Doch er geht weit darüber hinaus.  Wie wir gezeigt haben, befinden wir alle uns in einem Selbstentfaltungsprozess. Der therapeutische Prozess im engeren Sinne kann nur ein Teil sein dieses umfassenderen Prozesses, der unser Leben lang andauert. Er setzt Entwicklungen, Erkenntnis- und Wachstumsprozesse in Gang, die Zeit brauchen um sich zu entfalten und die weit über die Dauer einer Therapiesitzung und im besten Fall über die gesamte Therapie hinaus andauern. Schließlich geht es darum durch eine Therapie wieder in die Spur zu kommen, d.h. auf dem uns jeweils ureigenen Weg der Bewusstwerdung und Selbstwerdung unterwegs zu sein, den wir alle unser Leben nennen.

 

 

Hieraus folgt:

 

Der therapeutische Prozess ist nicht etwas, das der Therapeut macht und Klient(inn)en passiv rezipieren.

Der Therapeut kann nicht reparieren, nicht heil machen; Heilung kann nur aus dem Selbst der Klient(inn)en erwachsen. Der Therapeut muss ihnen hierbei beistehen, sie unterstützen, bestärken, gelegentlich herausfordern, ihnen Mut machen, und helfen Erlebnisse, Gefühle und innere Bilder zu verstehen.

 

Die unverzichtbare Basis für all dies ist die vertrauensvolle Beziehung zwischen Klient/in und Therapeut: eine gleichberechtigte, partnerschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe, der persönliche Kontakt, die existenzielle Begegnung von Mensch zu Mensch.

 

Der Therapeut besitzt zwar einen Erfahrungsvorsprung, "Expertenwissen" und eine prinzipielle Einstellung der Offenheit, er ist aber auch nur ein Mensch mit Fehlern, Schwächen und Beschränkungen. Klient(inn)en und Therapeut gehen gemeinsam in einen Prozess, in dem sich der Therapeut selbstverständlich in den Dienst der Klient(inn)en stellt (genauer gesagt in den Dienst ihres Selbst), der aber auch für ihn immer ebenso Teil seiner eigenen persönlichen Entwicklung ist, auch wenn dies im Rahmen der therapeutischen Arbeit natürlich in den Hintergrund tritt.

 

Klient(inn)en ihrerseits sind zunächst einmal "Expert(inn)en in eigener Sache". Niemand kennt sie so, wie sie sich selbst, auch dann nicht, wenn sie zu ihrem Wahren Selbst wenig Zugang haben. Sie sind diejenigen, in denen letztlich alles steckt, alles Wissen, alle Potenziale und Möglichkeiten, die entdeckt, wiedergefunden und aktiviert werden sollen. Das bedeutet aber auch, dass sie diejenigen sind, die die eigentliche Arbeit leisten müssen. Sie müssen den Willen, die Motivation und den Mut aufbringen, sich immer wieder aufs Neue ihren Gefühlen und Erkenntnissen zu stellen und gegen Widerstände durchzusetzen, um weiter voranzukommen.

 

Nach einer gewissen Zeit kommt der eigentliche therapeutische Prozess in Gang. Er ist gewissermaßen der Pfad, der sich von selbst zu entfalten beginnt. In ihm ergeben sich konkrete Problemstellungen, Arbeitsaufträge, Lösungsansätze etc. Das Unbewusste, oder besser gesagt, das Selbst der Klient(inn)en besitzt die Tendenz sich selbst heilen und zur Ganzheit bringen zu wollen, gute und gesunde Strukturen zu etablieren und es weist immer wieder den Weg, den es zu gehen gilt, auch wenn auf diesem massive Hindernisse zu überwinden sind. Die Zeichen des Selbst zu sehen, zu deuten und in die richtigen Schritte zu übersetzen, ist eine Hauptaufgabe des Therapeuten.

 

Man kann eine Therapie mit der Besteigung eines Berges vergleichen und die Rolle des Therapeuten mit der eines Bergführers. Er ist erfahren, kennt sich mit Bergen aus, doch jeder Berg ist anders und dieser konkrete Berg, vor dem er nun mit einer Klientin / einem Klienten steht, ist mit seinen Eigenheiten auch ihm zunächst einmal unbekannt.

 

Die grundsätzliche Richtung ist klar, es geht hinauf zum Gipfel. Wie genau eine gangbare Route aussieht, muss auch der Bergführer erst herausfinden. Er kann den Berg lesen und einen geeigneten Einstieg finden und die Klient(inn)en auf ihrem Weg begleiten und unterstützen. Erklimmen jedoch müssen sie den Berg selbst. Das ist mühsam, anstrengend, herausfordernd, bisweilen auch gefährlich, aber das kann ihnen niemand abnehmen.

 

Der Bergführer kann sie nicht hinauftragen. Auch gibt es keinen Lift oder ähnliches. Manche werden versucht sein, einen Trick finden zu wollen, mit dem sie auf den Gipfel kommen, ohne die Mühen und die Gefahren des Aufstiegs, doch ist es unumgänglich sich genau diesen zu stellen und sie zu meistern.

Schwierige Passagen, Abgründe und Situationen, in denen es nicht mehr weiterzugehen scheint, werden unterwegs immer wieder auftreten. Es wird Momente geben, wo sie der Mut verlässt, sie keine Lust mehr haben, völlig erschöpft, verzweifelt oder verängstigt sind. Doch es gibt immer eine Lösung, immer einen Weg, auch wenn es manchmal lange dauert, ihn zu finden, und sie sind dabei niemals alleine.

Hier ist der Bergführer gefragt, Wege aufzuzeigen, einen sicheren Tritt zu finden, den Klient(inn)en Halt zu geben, ihnen Mut zuzusprechen, auch dort weiterzugehen, wo sie meinen nicht mehr weiterzukönnen, aber letztlich auch zu erkennen, wo es wirklich gefährlich wird und dann alternative Pfade vorzuschlagen.

Dafür müssen Klient(inn)en ihm vertrauen, ihm zutrauen, dass er sie sicher geleitet, schützt und ihnen letztlich hilft, allen Widrigkeiten zum Trotz, heil auf den Berg hinaufzukommen.

 

 

Was sind die Ziele von Therapie?

 

Klient(inn)en kommen in die Therapie mit bestimmten Problemen, die es natürlich zu bearbeiten gilt.

Ebenso ist es Aufgabe, konkrete Symptome und psychische Leiden wie Ängste, Zwänge, Abhängigkeiten, Beziehungsprobleme und vieles mehr zu überwinden. Doch sind diese Dinge unserer Auffassung nach eingebettet in viel umfassendere Wachstums-, Reifungs- und Ganzwerdungsprozesse, die durch eine Therapie auf den Weg gebracht werden können.

 

Zu den grundsätzlichen Bedingungen für ein gutes und sinnerfülltes Leben gehört eine gut entwickelte erwachsene persönliche Identität mit einer gesunden Beziehung zwischen Ich und Selbst. Eine solche reife, erwachsene Persönlichkeit lässt sich vereinfacht festmachen an 6 zentralen Eigenschaften:

 

Authentizität, Autonomie, innere Freiheit, Selbstverantwortung, Liebesfähigkeit und Erkenntnisfähigkeit.

 

 

Authentizität:

 

Authentisch sind wir als Mensch nach unserem Verständnis dann, wenn wir in gutem Kontakt zu unserem Wahren Selbst stehen, wir auf dem Weg sind zu werden, wer wir wirklich sind und nicht identifiziert mit irgendeinem selbstgeschaffenen oder von außen übernommenen Ideal, wenn wir echt sind und nicht reine Fassade, wir nicht bloß Rollen spielen und uns selbst weder für die Allergrößten halten, noch für völlig minderwertig, sondern ein realistisches Selbstbild haben, wir aus unserer Selbstgewissheit heraus wahrhaftig und selbstsicher handeln können und "uns gut fühlen in unserer Haut".

 

 

Autonomie:

 

Ein autonomer Mensch kann sich unabhängig wohlfühlen. Er hat gelernt, sich selbst anzunehmen und vertraut darin, dass er, so wie er wirklich ist, gut, richtig und liebenswert ist. Er braucht sich nicht ständig zu beweisen oder sich als würdig erweisen.

 

Er ist frei von unstillbarer Sehnsucht, (die eigentlich nach außen projizierte Selbstsehnsucht ist,) die sich manifestiert in Abhängigkeit, sei es von der Anerkennung anderer, von materiellem Reichtum, Erfolg, Berühmtheit, Macht oder von Genuss- oder gar Suchtmitteln. Er weiß, was er "wert ist", kennt aber auch seine Grenzen.

 

Nur der autonome Mensch, der Andere nicht als Mittel seiner Selbstbestätigung (miss-) braucht, sie nicht mit Sehnsüchten und Projektionen belädt und sie weder idealisiert noch abwertet, ist auch wirklich fähig zu echten und guten zwischenmenschlichen Beziehungen. Nur ein autonomer Partner kann ein guter Partner sein.

 

 

Innere Freiheit:

 

Autonomie und Freiheit sind eng miteinander verknüpft. Um unabhängig zu sein, müssen wir innerlich frei sein von Minderwertigkeitsgefühlen oder Grandiositätsansprüchen sowie destruktiven Mustern der Selbstverleugnung und Selbstverweigerung, die uns in unserer Freiheit einschränken und uns daran hindern, unser wahres Potenzial zu entfalten.

 

Doch zur Freiheit gehört neben der Frage wovon immer auch die Frage: Freiheit wozu? Die Freiheit, sich vom Leben beschenken zu lassen, die Wahlmöglichkeiten im Leben zu nutzen und das zu ergreifen, was das Leben an Chancen bietet, um weiterzukommen.

 

Dazu müssen wir erst einmal akzeptieren, dass die Wahlmöglichkeit und das Recht davon Gebrauch zu machen unverzichtbar zum Recht auf Leben gehören. Zugleich ergibt sich hieraus aber auch eine Verpflichtung, Entscheidungen zu treffen und zwar zu allererst die persönliche Entscheidung für eine Hinwendung zum Leben:

Die Entscheidung, "das Leben bei den Hörnern zu packen", uns voll und ganz einzulassen und unser Potenzial zu verwirklichen. Dabei ergibt sich aus der Freiheit der Möglichkeiten automatisch die Verantwortung, mit diesen auch entsprechend umzugehen.

 

 

Selbstverantwortung:

 

Als innerlich freie, reife, erwachsene Persönlichkeiten leben wir in dem Bewusstsein, dass wir selbst verantwortlich sind für unser Leben und dafür wer wir sind. Wir sind nicht hilflos, nicht ausgeliefert, sind keine Opfer. Wir haben die Freiheit, die Ressourcen und daher auch die Verantwortung uns zu entwickeln und zu werden, wer wir wirklich sind, was bedeutet, uns als Ich in den Dienst unseres Selbst zu stellen, indem wir uns selbst spüren, erkennen und den Impulsen unseres Selbst, sich zu entfalten, vertrauen und ihnen folgen.

 

Dieser Verantwortung im Alltag gerecht zu werden ist nicht einfach in einer Welt, die weitgehend darauf ausgerichtet zu sein scheint, genau das Gegenteil in uns zu entfachen. Die vielfältigen Verführungen der modernen Konsumgesellschaft zielen gerade darauf ab, uns ständig zu zerstreuen, damit wir uns nach dem Lust-/Unlust- Prinzip selbstvergessen treiben lassen, während die Leistungsgesellschaft uns auffordert, uns im narzisstischen Hamsterrad von Karriere und dem Streben nach Reichtum, Macht und Anerkennung zu verausgaben.

In einer narzisstischen Gesellschaft nicht (oder sagen wir lieber möglichst wenig) narzisstisch zu sein, ist eine der Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen.

 

Auch das gehört zur Selbstverantwortung: Wir können uns nicht damit rechtfertigen, dass wir doch alle nur Produkte unserer Umwelt sind. Wenn wir das tun, betrachten wir uns wieder als unfrei, als abhängig und letzten Endes als Opfer. Doch genau das sind wir tatsächlich nicht, und wir alle sind aufgerufen unsere Verantwortung für uns selbst und damit auf ganz natürliche Weise auch für unsere Mitmenschen und unsere Umwelt im gebotenen Maße an- und wahrzunehmen.

 

 

Liebesfähigkeit:

 

Die Fähigkeit zu lieben setzt erst einmal voraus die Fähigkeit wirklich zu fühlen. Wer seine Emotionen abgespalten und vergraben hat und keinerlei Kontakt mehr zu seinem Selbst spürt, der ist auch nicht fähig, echte Liebe zu empfinden, weder für Andere noch für sich selbst.

 

Um Missverständnissen vorzubeugen sei hier gesagt:

 

Selbstliebe hat nichts zu tun mit narzisstischer sog. Selbstverliebtheit, die eigentlich Egoverliebtheit heißen müsste. Denn erstens "liebt" der narzisstisch verletzte Mensch nicht sein Selbst, das er ja gerade verleugnet, um sein Ego als Falsches Selbst an dessen Stelle setzen zu können.

Zweitens liebt der Narzisst hier gar nicht, denn es ist nichts da, das man lieben könnte: Das Ego ist reine Projektionsfläche und der Narzisst projiziert all das, was er gerne wäre, was er glaubt sein zu müssen, um geliebt zu werden, in dieses Ego hinein. Ein solches Projizieren von Sehnsüchten und Idealvorstellungen ist Kennzeichen von Verliebtheit im Gegensatz zu echter Liebe, die ohne Bedingung und uneingeschränkt das annimmt, was wirklich ist.

 

Uns selbst (als Selbst) zu lieben ist der natürliche Zustand.

 

Wenn wir uns (als) Selbst erkennen, uns als echt und frei erleben, als gut und richtig spüren und anerkennen, dann sind wir auch in der Lage uns selbst zu lieben, bedingungslos und so wie wir wahrhaftig sind. Wenn uns das gelingt, können wir das Urvertrauen zurückgewinnen in das Leben (als Prozess) und in uns selbst.

 

Erst wer bereit ist, sich selbst in allen Facetten zu spüren, der ist auch fähig, positive Emotionen wie Freude, heitere Gelassenheit, Akzeptanz, Vertrauen und Liebe vollends zu empfinden, sich zu öffnen und sich selbst ebenso wie anderen liebevoll zu begegnen. Er braucht  sich nicht aus Furcht vor negativen Gefühlen wie Angst, Scham, Wut oder Trauer zurückzuziehen, einzukapseln und zu verschließen, sondern kann sich diesen Gefühlen, wo sie auftreten, stellen und ist in der Lage das volle Spektrum aller Emotionen anzunehmen und zu erleben.

 

Wenn wir in dieser Weise offen und emotional durchlässig sind und wir uns selbst erkennen und liebevoll annehmen, dann brauchen wir auch andere Menschen nicht mehr als Projektionsfläche für unsere Sehnsüchte und zur Bestätigung dafür gut und richtig zu sein. Wir können auch sie so sehen und annehmen wie sie tatsächlich sind und sie bedingungslos einfach um ihrer selbst willen lieben. Somit sind wir in der Lage uns selbst zu lieben, andere zu lieben und Liebe anzunehmen.

 

 

Erkenntnisfähigkeit:

 

Allgemein ist die Erkenntnisfähigkeit die Aufgabe des Ich. Wir haben bereits früher das Ich als das Erkenntnisorgan innerhalb der Persönlichkeitsstruktur beschrieben, das für Welt- und Selbsterkenntnis zuständig ist und sich dabei in den Dienst des Wahren Selbst stellt. Das Selbst erkennt sich vermittels des Ich. Ein gut entwickeltes gesundes Ich ist somit für eine reife Persönlichkeit eine notwendige Voraussetzung.

 

Neben der Selbst- Erkenntnis ist es entscheidend, dass wir unser Leben erkennen als einen Prozess im Gegensatz zu einem statischen Zustand, als ein Werden im Gegensatz zu einem Sein.

 

Wenn wir beides gemeinsam verstehen, begreifen wir uns Menschen als prinzipiell im Prozess der Ich-bewusstwerdung, ausgehend vom geistigen Kern unseres Selbstseins.

 

Je weiter wir in diesem Prozess vorankommen, umso klarer können wir uns selbst wahrnehmen und erkennen, wer wir wirklich sind in unserer umfassenden Identität als Ich - Selbst. Auf diese Weise gehen Bewusstwerdung und Selbstsein Hand in Hand.

 

 

Diese sechs Merkmale der reifen Persönlichkeit kreisen alle um das Kernthema der Öffnung für unser wahres Selbstsein.

 

Diese ist, wie beschrieben, ein offener Prozess, in dem wir alle prinzipiell weiterkommen können. Auf diesem Weg werden wir uns unserer selbst bewusster, wir werden authentischer, autonomer und freier, übernehmen für uns selbst zunehmend Verantwortung und nehmen uns selbst liebevoll an.

 

Indem Therapie einen Beitrag dazu leistet, hier erst einmal ein Bewusstsein zu schaffen und in der Folge dessen, eine Haltung, die diesen Prozess selbstverständlich als zentrale Lebensaufgabe annimmt, schafft sie eine neue Perspektive auf Herausforderungen und Probleme und darüber hinaus auf die eigene Person, die Welt und das Leben insgesamt.

 

Selbstverständlich gibt es im Leben keinen Endpunkt dieses Prozesses, an dem eine vollkommen entwickelte, reife Persönlichkeit vollends realisiert wäre, und natürlich verläuft die Entwicklung auch nicht geradlinig, sondern es gibt Phasen kleinerer und größerer Fortschritte und - ja - auch kleinerer und größerer Rückschritte.

 

Doch wenn wir wirklich verstehen und verinnerlichen, dass wir unterwegs sind, dass wir einen persönlichen, ureigenen Weg haben, den es zu gehen gilt, statt ziellos umherzuirren, im Kreis zu laufen oder uns in eine Ecke zu setzen und aufzugeben, dann haben wir schon viel erreicht.

 

Hier kann Therapie ansetzen und helfen, den persönlichen Weg zu erkennen, ermutigen ihn anzunehmen und wirklich zu gehen, indem sie Klient(inn)en Perspektiven eröffnet, ihnen zeigt welche Potentiale sie dazu befähigen und ihnen in konkreten Situationen hilft, Hindernisse zu überwinden und voranzukommen Schritt für Schritt. Optimalerweise sollte sie sie solange unterstützen und begleiten bis sie schließlich in der Lage sind, selbstständig weiter zu gehen, und jede Herausforderung anzunehmen, die ihr Weg für sie bereithalten mag.

 

Was ist

Existenzialpsychologie?

Was ist Existenzialpsychologie?

EPA-Institut für Existenzialpsychologische Analyse, Beratung, Coaching, Aachen. Heilpraktiker für Psychotherapie.

EPA-Institut für Existenzialpsychologische Analyse, Beratung, Coaching, Aachen. Heilpraktiker für Psychotherapie.

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Erst wer bereit ist, sich selbst in allen Facetten zu spüren, Er braucht  sich nicht aus Furcht vor negativen Gefühlen wie Angst, Scham, Wut oder Trauer zurückzuziehen, einzukapseln und zu verschließen, sondern kann sich diesen Gefühlen, wo sie auftreten, stellen und ist in der Lage das volle Spektrum aller Emotionen anzunehmen und zu erleben.